ARCHIVE 1994
Fürther Nachrichten, 1994, GERD FÜRSTENBERGER
Zwischen gestern und morgen
Zwei kontrastreiche Beispiele Ägyptischer Kunst der Gegenwart in Ausstellungen im Theater und im Schloß
Der eine erinnert sich an ein blühendes städtisches Mittelalter, in dem Odalisken, türkische Haremssklavinnen, fürs Vergnügen standen und mamelukische Krieger die verfeinerte Kultur der Zeit repräsentierten. Der andere malt eine dörfliche Gegenwart, in der eine Jahrtausende alte Tradition fast ungebrochen lebendig ist, doch schroff mit der so völlig anderen modernen Zivilisation konfrontiert wird. Beide entwerfen, einander ergänzend, das Bild eines Ägypten, das uns im Grunde fremd und gerade deswegen so faszinierend ist.
Mit dem Ausstellungs-Tandem Awad El-Shimy im Stadttheater und Hassan El-Shark im Schloß Burgfarrnbach gewährt die engagierte Fürther Galeristin Ursula Schernig, die viele Jahre in Ägypten lebte, authentische einblicke in die islamische Welt und heutige ägyptische Kunstszene. Anlaß dieser Präsentationen ägyptischer Kunst der Gegenwart ist das 19jährige Jubiläum des deutsch-ägyptischen Vereins, der bereits seit seiner Gründung in vielfältiger Weise Brücken zwischen den beiden Kulturen geschlagen hat.
Kreatives Urgestein
Hassan El-Shark, dessen Bilder schon anlässlich der Vernissage am Sonntag erste begeisterte Käufer fanden, ist kreatives Urgestein, ein Künstler, wie es ihn bei uns nicht mehr gibt. De Autodidakt, der erst seit jüngerer Zeit als Gaststudent an einer Kunstakademie eingetragen ist, lebt noch heute in dem bis fast in die Gegenwart beinahe völlig isolierten oberägyptischen Dorf, in dem er geboren und aufgewachsen ist.
Magische Symbole
Und er tut das, seiner Kultur entsprechend, nicht nüchtern realistisch, sondern mithilfe magischer Symbole, deren
Bedeutung teilweise überliefert, teilweise durchaus aber auch von ihm „gefunden“ worden ist. Doch nicht auf das individuell Neue kommt es bei dieser Kunst eigentlich an, sondern auf die Variation des
Bekannten.
Da stehen Schlangen, Raubvögel und Ungeheuer für Verderben und Gefahr, Zeitungspapier, das einen toten Palästinenser
bedeckt, für Geschwätz, Schlüssel für die Unterkunft, die ein junge braucht, um ein Mädchen heiraten zu können. Da umarmen sich Bäume als Zeichen natürlicher Harmonie, stehen erhobene Hände, Augen
und Amulette für die Bitte um Kraft, Eier erwachen im Angesicht der Bedrohung durch die Schlange zu wehrhaftem Leben, und ein Zug aus Kairo, der in Menia einfährt, symbolisiert die neue
Welt.
Es ist eine erzählende, expressive Kunst, die wie ein Welttheater des dörflichen Ägypten anmutet. Jedes der zahllosen
Details hat eine Bedeutung, und die robuste „Ästhetik“ steht so ganz im Dienst von Aussage. Dokumentation und Schilderung. Sollte die Welt, in der Hassan El-Shark lebt, untergehen – was angesichts
der auch in Ägypten unaufhaltsam vordringenden modernen Zivilisation nicht unwahrscheinlich ist – wird man sich anhand seiner Bilder wohl nahezu lückenlos an sie erinnern können.
Orientalischer bildnerischer Tradition entsprechend, läßt Hassan El-Shark auf dem Papier keine Lücke zu und füllt auch den Hintergrund der in jüngerer Zeit häufig kolorierten Bilder mit Ornamenten aus. Das, wenn auch nicht viel mehr, verbindet ihn mit dem zweiten in Fürth präsentierten Protagonisten heutiger ägyptischer Kunst, Awad El-Shimy.
Die technisch höchst anspruchsvollen Radierungen des Kairoer Graphikprofessors repräsentieren in ihrer Weise ebenso
authentisch die orientalische Welt und sind doch völlig anders. Denn sie leiten sich aus einer Epoche großen Reichtums und höchster Geschmacksverfeinerung her, der Zeit der Mameluckenherrschaft, die
von 1250 bis 1517 dauerte. In dieser Zeit wurde in Kairo ein neuer islamischer Kunststil begründet, auf den sich Awad El-Shimy beruft.
Luxuriöse Interieurs
Das Dekorative ist hier wesentliches Qualitätsmerkmal, so sehr, dass selbst die dargestellten Menschen, eingebettet in
luxuriöse Interieurs, in erster Linie als Ornamente zählen. Ob Odalisken oder Krieger, zu sehen sind ihre peppige Kleidung, ihr edler Schmuck und ihre prachtvollen Waffen. Gesicht und Körper werden
ausgespart.
Die ästhetische Veräußerlichung ist Programm und bewirkt bewundernswert erlesenen, doch eigenartig unterkühlten Sinnengenuss. Die Bilder, meist in mittlerem Format, zeichnen sich durch höchste Akkuratesse, zuweilen auch geschmackvoll dezente Farbigkeit und ein bemerkenswertes Gefühl für die Beziehungen zwischen Linie und Raum aus.