ARCHIVE 2013
Vernissage: 22.09.2013
Lena Krasotina & Holger Lehfeld
Press Archive
Fürther Nachrichten, 25.09.2013, REINHARD KALB
Fassaden-Ödnis fast wie im Ostblock
Deutsch-russische Blicke auf Nürnberg: „Die andere Urbanologie" irritiert im Stadttheater
FÜRTH - Zum Auftakt der Saison 2013/14 schmückt sich das Foyer des Stadttheaters mit den Werken zweier Künstler, präsentiert von Johan Hammonds Art-Agency. Gemeinsames Thema aus deutscher und russischer Sicht: „Die andere Urbanologie".

Urbanologie, die Lehre von der Großstadt. Das klingt nach Bruttosozialprodukt, nach Statistik und Zahlensalat. Auch
nach Soziologie, Alters- und Gesellschaftspyramide, nach sozialen Brennpunkten, nach harten und weichen Standortfaktoren. Ein Fall für Experten aller Art. Auch für Künstler?
Gerade für Künstler! Denn deren Sicht auf die Stadt ist eine andere, sehr individuelle. Im Fall der gebürtigen Moskauerin Lena Krasotina eine äußerst gräuliche. Ihre leicht zu lokalisierenden
Nürnberger Schauplätze schildert sie als Grisaillemalerei in diversen Grau- und Weißtönen. Ab und zu darf etwas Grün und Beige in gedämpften, fahlen Tönen daherdämmern. Der Ausdruck „leuchten"
verbietet sich meistens.
Den Fürther überfällt angesichts Krasotinas Gemälden ein bestürzendes Gefühl von Mitleid mit der Nachbarstadt.
Nie sah der Karl-Bröger-Platz so trostlos aus wie hier, nie wirkte die SPD-Zentrale derart bar jeder Utopie. Gleichzeitig kann man sich eines Schmunzelns nicht erwehren; schließlich gehört es zum
Look jedes Spionagefilms, dass der Ostblock nur in Grautönen erscheint. Hat also der Look auf Lena Krasotinas Optik derart stark eingewirkt, dass sie die Welt nur noch durch den grauen Star
sieht?
Die russische Künstlerin kann sehr wohl mit Farbe umgehen. Aber sie setzt sie bewusst und gezielt ein. Etwa in „Apples and periodic table": ein grüner und sieben rote Äpfel verteilen sich auf einer
papiernen Periodentafel und werfen Schatten über die Kürzel. Pure Natur und organische Chemie, die Ordnung der Elemente und der Verbund diverser Fruchtsäuren in Gestalt von Obst — der Kontrast
zwischen sinnlicher Natur und dürrer Klassifizierung hat etwas zutiefst Romantisches: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen..."
Die „Szene mit rotem Fisch" versammelt gar so viele Farben wie nirgendwo sonst: Ein graues Männchen blickt vor grünem Tapetenmuster sinnierend in ein Glas, worin ein leuchtend roter Fisch schwimmt.
Daneben liegen sieben geleerte Gläser und eine leere Konservendose. Hat der gute Mann zu viel Wodka gebechert? Sieht er analog zu rosaroten Elefanten knallrote Fische?
Wenn dem so wäre, dann läge Holger Lehfeld im Alkoholkoma. Seine Bilder von Nürnberg strotzen nur so vor Farbigkeit und strahlen dennoch irritierende Kühle aus. Lehfelds Lieblingsschauplatz ist die
Vorstadtsiedlung, in der das Leben wie erstarrt scheint. Ein Ball auf dem Gehsteig wirft die Frage nach dem Verbleib der Kinder auf; eine Hausfassade, von der Giebelseite betrachtet, erfährt eine
gewisse Lebendigkeit allein durch den Schatten, den das Haus gegenüber auf die Fläche wirft. Dann erst registriert der Betrachter die Dachrinne am oberen Bildrand und versteht, dass er selbst die
Position des Nachbarn einnimmt und als Häuslebesitzer nach gegenüber starrt — und sein Haus wohl genauso öde erscheint wie das Objekt der Betrachtung. Ein Moment der Selbsterkenntnis.
Strenge Geometrie, kühle Farben und öde Fassaden, so ist Lehfelds Nürnberg. Wer sich auf architektonischen Einheitsbrei spezialisiert, dem muss ja mal der Kragen platzen. In „Nightswimming" tummeln
sich drei Delfine vor einem Wohnblock, wachsen Bäume aus dem Dach, blickt eine Meeresgöttin mit nassem Haar über den Horizont. Ein surreal-fantastisches Pendant zu Lena Krasotinas „Rotem
Fisch".